Bahn 2030

Manchmal mache ich mir so meine Gedanken über ganze andere Dinge, die mich stören. Dazu gehört die Ausrichtung des Nah- und Fernverkehrs der Bahn. Ich fahre sehr viel Bahn, weil man dabei auch arbeiten kann und speziell auf der Mittelstrecker (300-600km) der Mehraufwand in Zeit gegenüber der nervigen Fahrzeit beim Selbstfahren nicht stört. Mich wundert aber, wie viel Geld die Automobil-Industrie in das "Selbstfahrende Auto" steckt, wo das ganze System Bahn davon viel einfacher umzusetzen sein sollte.

Bedarf

Den Bedarf gibt es tatsächlich, denn Zugausfällen aufgrund zu wenig Lockführer passieren nicht selten. Komisch nur, dass dann Busersatzverkehr mit viel mehr Busfahrern und Fahrzeugen dann wohl immer noch geht. Vielleicht sollte der Beruf des Lokführers und Busfahrer zusammengeführt werden zum "Personenbeförderer" um hier flexibler zu sein. Erschreckender sind aber Zahlen, die ich ende 2019 in der Tagesschau gehört habe.

  • Die Bahn hat 2018 ihr Ziel nicht erreicht, die Pünktlichkeit um 1,6 Prozent zu verbessern
    Sie hat Real nur ca. 1% Verbesserung erreicht. Dazu muss man aber weitere Daten liefern
  • 74,9% der Züge waren 2018 "pünktlich"
    Pünktlich bedeutet aber max. 6 Min verspätet. Leider sind es genau die 6 Minuten, die dann eine Umsteigeverbindung häufig platzen lassen.
  • Fast 25% der Ankünfte waren mehr als 6 Minuten verspätet
    d.h. 25% der Reisenden, die Umsteigen haben echt ein Problem. Denn abgesehen von den ICE-Hauptachsen ist Umsteigen der Regelfall.

Wenn ich die 6 Minuten Verspätung noch als "Pünktlich" bewerten soll, dann muss eine Umsteigeverbindung bei einer pünktlichen Ankunft auch gewährleistet sein. Allerdings ermittelt die Bahn selbst Verbindungen ab 5 Min Umsteigezeit. Wenn ich es wirklich schaffen soll, in 5 Min den Zug zu wechseln, dann dürfte die Fahrplanauskunft keine Verbindungen anzeigen, die früher als 11 Minuten (5 Min Umsteigen +6 Minuten "pünktliche Verspätung) nach der Ankunft wieder abfahren.

Ich erwarte nicht, dass die Bahn "pünktlicher" wird, denn wenn ein Zug verspätet ist und der andere dann wartet, rollt eine Welle der Verspätungen durchs Land. Das ziel muss sein, dass eine Verspätung nicht "weh" tut und dann geht nur durch deutlich engere Taktungen. Auf einigen Strecken, z.B. meiner Ausstrecke "Frankfurt-Kassel" fahren ja schon viele ICEs, weil mehrere Linien sich hier tummeln und wen ich etwas früher am Bahnhof bin, versuche ich immer den früheren ICE mitzunehmen um zuverlässig den Anschluss in Kassel zu schaffen. Aber es muss sich was tun.

Blickrichtung

Keine Sorge, ich möchte nicht die komplette Bahn umkrempeln und es gibt Bereiche, da stelle ich mir eine Veränderung schon knifflig vor. Wenn ein ICE4 mit seinen 830 Sitzplätzen und ca. 750to über die Fernstrecke flitzt, gibt es wenig zu mäkeln. Auch im Stadtverkehr mit S-Bahn/U-Bahn dürfte die Taktfolge für die meisten Nutzer in Ordnung sein. Knifflig wird es im Regionalverkehr, bei dem ein Stundentakt immer dann negativ auffällt, wenn die Anschlüsse zum Fernverkehr oder Umsteigeverbindungen zu längeren Zwangspausen führen oder Strecken stillgelegt sind. Hier habe ich zwei Negativ-Beispielstrecken direkt in meinen Wohnort, oder sollte ich froh sein, dass es überhaupt einen Bahnhof gibt?

  • Pendelstrecker Paderborn - Bielefeld
    Hier fahren wohl zwei Züge im Wechsel hin und her und schaffen so einen Stundentakt zu den Anschlüssen zum ICE-Bahnhof Bielefeld und dem Hauptbahnhof Paderborn. Extrembeispiel ist hier natürlich Paderborn, wenn man aus Süddeutschland (Frankfurt, Mannheim, Stuttgart, Nürnberg) über Kassel kommt.

    Auch aus Köln gibt es Negativbeispiele

    Das ist zwar nicht immer so, aber wenn die Umsteigezeit <15 Min ist, dann reicht schon eine normale Verspätung um wieder eine Stunde zu warten. Das kommt mit dann vor wie beim "Mensch Ärgere dich nicht"-Spiel, wenn Sie einfache nicht ins Haus einziehen können.
  • Stillgelegte Strecke Hövelhof - Gütersloh
    Dort fährt aktuell nur noch der "Nikolaus-Express" (https://www.eisenbahn-tradition.de/Fahrkarten.htm) und jeden Morgen stauen sich die Pendler auf dem Weg zu Miele, Nobilia, Claas und den anderen Firmen. Es gibt sogar schon Visionen mit "Einspur-Fahrzeugen", die hier autonom auf Zuruf fahren könnten. Mir persönlich ist das zu viel "Zukunft". Wenn aber all 15 min ein Kleinfahrzeug für vielleicht 20-40 Personen je Richtung unterwegs wäre, die sich an Ausweichstellen begegnen, dann könnte Mobilität ganz anders aussehen.

Muss ich wirklich immer mit dem Auto nach Bielefeld, Paderborn oder sogar Kassel Wilhelmshöhe fahren, um vernünftige Anschlüsse zu haben?

Autonom fahren?

Wenn ich mir so eine Gleistrasse anschaue, dann sind die Voraussetzungen für selbstfahrende Einheiten optimal:

  • Umweltfreundlich durch Strom von oben
    Anders als bei E-Autos sind viele Strecken der Bahn schon elektrifiziert und können einfach von oben versorgt werden. selbst für Strecken, die noch nicht elektrifiziert sind, könnte ich mit es gut vorstellen, nur Steigungsstrecken und Bahnhöfe zu elektrifizieren um beim Anfahren/Abbremsen per Oberleitung zu arbeiten und beim "dahin rollen" vielleicht mit Schwungscheiben, Kondensatoren, Druckluft oder auch Batterien zu arbeiten. Ein Nahverkehrszug könnte vermutlich auch von Bahnhof zu Bahnhof springen, wenn er elektrisch mit Oberleitung beschleunigt und bremst während unterwegs nur ein kleiner Antrieb erforderlich ist. Dann könnte man auf eine durchgehende Elektrifizierung verzichten.
  • Spurhalteassistent "eingebaut"
    Ein Zug auf Gleisen muss gar nicht "gelenkt" werden, da er durch den Aufbau der Fahrtrasse gar nicht woanders hin fahren kann. Vielleicht müsste an die Streckensteuerung noch etwas erweitern aber das sollte deutlich einfacher sein, als ein "Frei fahrendes KFZ".
  • Freier Fahrweg
    Schon heute haben Schienen eine Sonderstellung im Verkehr und sind entweder per Brücke/Tunnel schon von Straßen getrennt oder durch Bahnübergänge mit Schranken oder Andreaskreuze gesichert. Das ist kein 100% Schutz aber auch mit menschlichen Lokführern gibt es Unfälle. Das Problem wird weder der selbstfahrende Zug aber auch das selbstfahrende Auto nicht lösen. Ein "Not-Aus" am Bahnübergang kann einen Zug bremsen und ein menschlicher Lokführer könnte aus der Ferne die Situation bewerten und lösen.
  • Zugbegleiter = Fahrunterstützung
    Anders als bei einem Auto kann es in einem Zug ja weiterhin einen Zugbegleiter geben, der in Sonderfällen auch bei der Zugsteuerung eingreifen kann. Je mehr Automatisierung vorhanden ist desto "einfacher" sollte doch auch die Steuerung werden. Heute ist neben dem Lokführer auch ein Kontrolleur im Zug.
  • Kleinere Einheiten
    Sicher ist ein ICE-Lang-Zug ein stattliches Gefährt aber was hilft mir eine Masse von bis zu 520to für 500 Sitzplätze, wenn die mittlere Auslastung der Bahn bei 20-30% liegt. Klar gibt es Spitzenzeiten, wo jeder Platz gebraucht wird. Die neueren Waggons haben aber doch eh schon Unterflur-Motoren und man könnte einfach weniger Gewicht mitschleppen, die Züge passend lang machen oder mit weniger Wagen pro Zug einen engeren Takt fahren.
    Oder man belegt das "Kurswagen"-Prinzip neu. Eine Gruppe könnte dann einen Wagen für sich vom Start zum Ziel haben. Vielleicht sogar mit Platz für Fahrräder und anderen sperrigere Komponenten.
  • Autonome Steuerung und Taktdichte
    Die Auto-Hersteller wollen fast komplett autonome Individualfahrzeuge für unsere Straßen herstellen, auf denen Fahrzeuge wenige Meter Seitenabstand und meist weniger als 100m Abstand haben aber Züge haben mehrere Kilometer Abstand? Das wundert mich, dass hier die Gleise nicht einfach enger belegt werden können.

Ich bin einfach nur enttäuscht, wie viel Geld und Know-how im Automobilesektor für Autonomie aufgewendet wird, während von der Bahn (oder ihren Zulieferern) nichts zu sehen oder hören ist. Vielleicht sollten die Automobilfirmen ihren Tätigkeitsbereich auf Schienenfahrzeuge erweitern, wenn Sie immer weniger Autos verkaufen.

Neue Fahrzeuge

Für viele Lösungen dürfte natürlich das aktuelle Fahrmaterial nicht optimal sein. Irgendwie kann ich es mir nicht erklären, warum die heutigen DB-Waggons im Vergleich zu den transportierten Menschen so ein Missverhältnis haben. Selbst SUVs mit 2-3 Tonnen Gesamtgewicht die vielleicht 2-4 Personen transportieren  haben damit 750k/Person bis 1,5to. Bei der Bahn gibt es da wohl ganz andere wert

Dagegen sind Kleintransporter und Busse viel leichter. Ein Mercedes Sprinter Travel 75 wiegt mit 18 Sitzplätzen 6,8to (Quelle https://www.mercedes-benz-bus.com/de_DE/models/new-minibuses/facts/technical-data.html) womit wir auf 370kg/Person kommen.

Sollte es so unmöglich sein so ein Fahrzeug elektrisch per Oberleitung zu versorgen die Vorderachse zu fixieren und die Reifen durch Scheiben zu ersetzen und die Spurweite von 1.685 auf 1435 mm zu reduzieren? Würde die Bahn dann die ganze Thematik Reservierung noch per Smartphone mit entsprechender Identität und Sitzbelegungserkennung versehen, dürfte auch Schwarzfahren u.a. entfallen und Vandalismus deutlich reduziert werden. Habe ich was vergessen?

Fernverkehr

Der Nahverkehr ist als Zubringer und Verteiler für den Fernverkehr notwendig. Es sei denn wir fahren in 10 Jahre alle mit selbstfahrenden Kleintransportmitteln zum Bahnhof oder Park&Rail erlebt einen deutlichen Aufschwung. Das glaube ich aber nicht, da wir dann wieder Stehzeuge statt Fahrzeuge parken. Hierzu gibt es einen interessanten Vortrag, der leider

Jörg Heynkes "Zukunft4.1-Warum wir die Welt nur digital retten, oder gar nicht!" 175 Jahre der S-IHK
https://www.youtube.com/watch?v=5B1IJqK7_S0

Ich denke, dass auch im Fernverkehr Veränderungen anstehen. Sicher wird ein ICE mit 800 Sitzplätzen nicht durch 50 Kleinwaggons mit bis zu 40 Sitzplätzen ersetzt. Aber warum braucht ein ICE aus Hamburg in Hannover immer noch 2-3 Minuten nach Einfahrt zum Ankoppeln? Warum müssen Züge überhaupt "gekoppelt" werden, wenn jeder eine eigene Antriebssteuerung hat?. Es gibt Pilotreihen, bei denen LKWs anderen Fahrzeugen aufwändig folgen und miteinander kommunizieren. Könnte man die Züge nicht einfach "kürzen" und dynamisch miteinander verbinden? Wenn es wahr ist, dass im Fernverkehr der Bahn eine durchschnittliche Auslastung von 56% ( Quelle https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bahn-will-nur-noch-zuege-mit-fahrradplaetzen-bestellen-16463579.html vom 1.11.2019) )vorliegt, und wir die aktiven Pendler-Zeiten am Montag morgen oder Freitag nachmittags mit 100%+ Auslastung abschneiden, dann haben viele Züge doch noch Luft nach oben.

Stellwerktechnik

Wenn die Fahrzeuge alle deutlich kleiner sind und keine Langzüge sich mehr bewegen, dann könnte man langfristig sogar darüber nachdenken, die Transporteinheiten dynamisch vom Gleis zu holen oder wieder aufzusetzen. Im Nahverkehr gib es schon Leute, die den Tod des individualfahrzeugs (= Stehfahrzeug ,da es meist 23h steht und 1h fährt) erwarten und kleine Schwarm-Fahrzeuge einfach den Transport übernehmen. Aus dem Bahnhof wird dann ein "Transportation Hub", der für die Mittel und sogar Langstrecke gedacht ist. Das funktioniert natürlich nicht, wenn die Züge dann weiter nur alle Stunde fahren. Viele kleine Einheiten blockieren aber die Gleise für Ein/Aussteigen und viele Strecken sind vielleicht auch nur einspurig.

Vielleicht macht es ja Sinn, die kleinen Einheiten quasi "vom Gleis" zu holen. Vielleicht sollte man da auch einfach mal das Konzept einer Weiche überdenken, wenn die Transporteinheiten nicht mehr so "lang" sind. Wir können heute schon komplette Schiffe in "Badewannen" schleusen und Fördertechnikfirmen haben vielfältige Wege entwickelt, um Transporteinheiten umzusetzen. Selbst die Skilifte können einzelne Kabinen ein und aushängen. Was sollte uns da hindern die das "Durchfahrtsgleis" gar nicht mehr Bahnsteig vorbei zu führen sondern die Transporteinheiten einfach umzusetzen. Dann hätten die Passagiere auch alle Zeit der Welt einzusteigen und immer wenn eine Transporteinheit in eine Richtung voll ist oder lange genug gewartet hat, wird Sie auf Gleis gesetzt. 

Weitere Links

Jörg Heynkes "Zukunft4.1-Warum wir die Welt nur digital retten, oder gar nicht!" 175 Jahre der S-IHK
https://www.youtube.com/watch?v=5B1IJqK7_S0